Die Gesamtaufführung der Bachkantaten

Es ist ja seit vielen Jahren ein Lieblingsplan von mir, das Bachsche Kantatenwerk zu pflegen. Ich erinnere an die regelmässigen Abendmusiken unserer Singkreise mit Bach-Kantaten in der Leonhardskirche Reutlingen 1932/35 und in der Markuskirche Stuttgart 1937/39 sowie an die Abende mit Bach-Kantaten, die wir im Anschluß an die Tonbandaufnahmen für amerikanische Schallplatten im Jahre 1951 hier in der Markuskirche durchführten. Nun sollen im Rahmen der Stunde der Kirchenmusik einmal monatlich an einem Freitag von 19 bis 20 Uhr Bach-Kantaten in der Stiftskirche erklingen.

So angekündigt konnte Hans Grischkat das größte Einzelprojekt seiner Schaffenszeit 1958 endlich umsetzen, die Aufführung sämtlicher kirchlicher Bachkantaten in einem einzigen Zyklus. Zuvor hatte er, der sich im Besonderen dem Kantatenschaffen Bachs verschrieben hatte, lediglich einzelne Kantaten aufgeführt, dabei jedoch auch stets darauf geachtet, dass sie an der richtigen Stelle im Kirchenjahr erklangen. Die Intention des Kantatenwerks" stand dabei derjenigen der Großkantate Vom Reiche Gottes diametral entgegen. In jener wollte Grischkat, gestützt auf die Ausführungen Albert Schweizers in seiner Bach-Biographie, nur auf die textliche Einheit achtend, eine abendfüllende Kantate zusammenstellen, im Kantatenwerk hingegen ohne Rücksicht auf eine etwaige poetische Unvollkommenheit, die einer Aufführung als Ganzes entgegensteht, die Kantate vorstellen.

Mit der Zeit vertiefte sich Hans Grischkat so in das Kantatenwerk Bachs, dass er die Aufführung aller Kantaten mit langer Hand vorbereiten konnte. Schon früh reifte in ihm der Gedanke, in einem Zyklus alle geistlichen Kantaten Bachs aufzuführen. Aus dem Jahre 1932 datiert der erste Versuch in Reutlingen, der es auf 14 Abende brachte. 1937, nach dem Umzug, folgte in Stuttgart ein zweiter mit 13 Abenden. Andere Aufgaben, die Leitung des Reutlinger Sinfonieorchesters und seine Arbeit an der Hochschule in Stuttgart, ließen die Bach-Kantaten in den Hintergrund treten. Nachdem Grischkat die Leitung des Orchesters 1950 abgegeben hatte, fand er wieder die Zeit, sich mit der Ausführung des Kantatenwerks zu beschäftigen. Mit seiner ganzen Energie machte sich Hans Grischkat ein drittes Mal daran, das Projekt umzusetzen. Im Anschluss an Tonband-Aufnahmen sollte der Gesamtzyklus durchgeführt werden. Im März 1951 erschienen sowohl in den Stuttgarter Nachrichten als auch in der Stuttgarter Zeitung Artikel, die von Hans Grischkats Plan berichteten, innerhalb von zehn Jahren alle Bachkantaten aufzuführen. Am 6. April 1951 schließlich fand der erste Abend in der Stuttgarter Markuskirche statt, und die Stuttgarter Zeitung vom 13. April weiß, dass der Plan für das Jahr 1951 steht, 16 Aufführungen waren gesichert. Im Abstand von nur zwei Wochen sollten weitere Abende folgen, die, bis auf den fünften Abend mit dem Reutlinger Singkreis, alle vom Stuttgarter Grischkat-Singkreis bestritten wurden, so dass große Fahrtkosten eingespart werden konnten. Das Programm für 1951 sah am ersten Abend die Kantate Nr. 112 vor, an den weiteren Abenden die Kantaten Nr. 189, 11, 51, 137, 185, 9, 6, 148, 19, 170, 79, 153, 140. 61 und 40. Doch nach dem achten Abend am 13. Juli 1951, dem letzten vor den Ferien der auf 16 Abende angelegten Planung, musste das Unternehmen eingestellt werden. Der neunte Abend des Kantatenwerks am 13. September wurde, wie Grischkat am 31. August befürchtete, nicht mehr durchgefiihrt. Als Begründung führte Hans Grischkat eine übereilte Planung an, an anderer Stelle nannte er finanzielle Gründe für das Scheitern, was wohl eher zutrifft. Denn die direkte Verbindung des Kantatenwerks mit der Schallplatteneinspielung brachte Grischkat in eine Position direkter Abhängigkeit von den Verkäufen. Zu dem Zeitpunkt, als ein deutscher Sender 50 Kantaten verkauft hatte und damit Grischkats Einspielungen Konkurrenz machte, war das Kantatenwerk ernsthaft gefährdet, ja eigentlich schon zum Scheitern verurteilt.

Einen vierten und letzten Anlauf startete Hans Grischkat schließlich 1958. Diesmal besser vorbereitet und mit einer anderen zeitlichen Einteilung. Statt 14-tägig eine Kantate aufzuführen war der Plan nun, zwei Kantaten pro Abend zu spielen und etwa zehn Abende pro Jahr zu veranstalten. So wurde das Kantatenwerk auf die Jahre 1958 bis 1970 mit insgesamt 113 Abenden terminiert. In diesem Zeitraum sollten alle geistlichen Kantaten Bachs erklingen. Mit dieser zweiten Planung war Hans Grischkat ebenfalls schon lange vor ihrer Ausführung beschäftigt. Doch ist die Entstehung anhand der Quellenlage nicht gänzlich nachvollziehbar. Es existieren zwar Pläne von Hans Grischkat, die im Entwurf eine Ausführung des Kantatenwerks für die Jahre 1962 bis 1968 vorsehen, im achten Jahr sollten dann eventuell die Ratswahl-Kantaten Nr. 119 und 193, sowie die Kantate Nr. 79 aufgeführt werden, doch in einer anderen Phase der Planung sollte das Kantatenwerk dann am 26. September 1958 beginnen. Dieser Entwurf wurde schließlich von Hans Grischkat umgesetzt. Zwar wurden die Termine der Abende für 1962 bis 1968 beibehalten, die Reihenfolge der Kantaten änderte sich jedoch. Es wurden meist zwei Kantaten pro Abend aufgeführt, die Kantatenabfolge neu verteilt und ab 1958 bis Oktober 1962 bereits an 40 Abenden 63 Kantaten aufgeführt. Von diesen 63 Kantaten gibt es jedoch keine Listen, die einen Überblick über die Konzeption der Verteilung geben könnten. Aus der Korrespondenz geht jedoch hervor, dass Grischkat in dieser Zeit relativ kurzfristig plante und ab Ende September 1958 die Kantaten für den Sommer 1959 zusammenstellte. Erst ab dem 41. Abend existieren Aufzeichnungen, die Einblicke in die Entstehung des Kantatenwerks erlauben. In einem Brief Hans Grischkats an Dr. Richard Baum vom Bärenreiterverlag berichtete er über die Entstehung. Daraus geht hervor, dass eine sorgfältige Planung des Kantatenwerks erst ab dem 41. Abend gemacht wurde, was das Fehlen der Aufzeichnungen bis zum 40. Abend teilweise erklären würde. Etwa Mitte 1961 plante Grischkat die restlichen Abende bis zum 113. Abend 1970. Diese Überarbeitung war notwendig, da er sonst nicht alle Kantaten hätte unterbringen können. Als Voraussetzungen für das Kantatenwerk mussten eingeplant werden: die Zeitdauer von etwa einer Stunde pro Abend, die Stellung der Kantate im Kirchenjahr (jede Kantate sollte zu dem Zeitpunkt innerhalb des Kirchenjahrs musiziert werden, für die Bach sie geschrieben hatte) und die Gleichheit der zeitlichen Abstände der Kantaten-Abende. Dabei ging Grischkat in seiner ersten Planung zunächst davon aus, die bereits aufgeführten Kantaten nicht zu berücksichtigen. In einer zweiten Überlegung änderte er diesen Plan und berücksichtigte alle Kantaten. Musikalisch war das Kantatenwerk 1958 also ausgereift, auch organisatorisch gab es keine Probleme mehr, doch plötzlich ergab sich eine Auseinandersetzung um Kompetenzen zwischen August Langenbeck und Hans Grischkat; das Kantatenwerk drohte, bereits nach 4 Abenden zu scheitern. Eine Vorläufige Vereinbarung zwischen den beiden schickte Grischkat nicht unterschrieben zurück und bezog Stellung:

Du darfst mir glauben, dass ich es mir lange überlegt habe und dass ich von diesem mir besonders wichtigen und lieben Plan sehr schweren Herzens Abschied nehme, umso mehr, als ich auf Deinen Brief vom 27. September hin auch schon die Kantaten für die Abende Mai. Juni und Juli herausgesucht und mir Gedanken über die Besetzung und Einbau in meine anderen Chorpläne gemacht habe. Aber ich halte es gerade nach all Deinen Formulierungen auch nicht für ratsam, in dieser Angelegenheit noch grosse Besprechungen zu halten. Es müsste das Ganze eben auf eine andere Grundlage gestellt werden, dann könnte man zusammenkommen. [...] Aus diesen falschen Feststellungen resultieren dann alle Deine Formulierungen, die alle im einzelnen Dir um ein Stück zu viel und mir ein Stück zu wenig Verantwortlichkeit für diese Abende zuerkennen."

Gerade in der Frage der Formulierung und Korrektur des gedruckten Programms sowie der Auswahl der einzelnen Stücke (die Kantaten wurden in der Regel von einem Orgelwerk begleitet), wollte Grischkat unbedingte alleinige Entscheidungsgewalt. Wie unerbittlich er dabei sein konnte, zeigen folgende Zeilen in Bezug auf den zweiten Abend des Kantatenwerks :

Du erinnerst Dich an die Frage, ob wir Präludium und Fuge in e-moll für Orgel vor oder nach der Kantate bringen wollten, und Du hattest es noch in Deinem Manuskript entgegen den Wünschen von Herbert Liedecke und von mir hinter die Kantate gestellt. Die damals fällige Auseinandersetzung unterblieb, da Du ja von Dir aus die Umstellung dann vorgenommen hattest. Ich muss aber heute darauf hinweisen, dass ich unter keinen Umständen das Programm damals akzeptiert hätte und für den Fall, dass das Orgelstück am Schluss des Programms stehen geblieben wäre, den Abend nicht durchgeführt hätte.

Bezüglich der Verpflichtung der Vokal- und Instrumenlalsolisten wollte Grischkat (auch aus ganz praktischen Gründen heraus) freie Hand haben. Doch zeigte sich ihm zu diesem Zeitpunkt keine Einigung mit Langenbeck:

Was ich nun weiter tun werde, weiss ich noch nicht. Es wird davon abhängen, ob Du die Kantaten-Abende in der Stiftskirche in dieser Form ohne mich weiterführen willst oder nicht und es wird auch davon abhängen, ob meine Bach-Kantatenpläne mit Schallplattenfirmen - die in den letzten Wochen wieder sehr greifbare Formen angenommen haben - vollends realisiert werden können. Es wird auch davon abhängen, ob mir fiir selbständige regelmässige Kantaten-Abende die Stiftskirche überhaupt zur Verfügung gestellt wird, oder ob ich in eine andere Kirche gehen muss. Auf jeden Fall werden meine Pläne mindestens bis zum Herbst eine Unterbrechung erfahren müssen. Ob ich dann noch die Kraft und Freudigkeit habe, ein weiteres mal mit diesen Plänen neu zu beginnen, weiss ich auch noch nicht. Ich bin ausgesprochen traurig darüber, dass wir bei diesem schönen Plan offenbar nicht zusammenfinden können.

Die angedeuteten Schallpatten-Pläne zerstreuten sich in dem Maße, in dem August Langenbeck und Hans Grischkat sich einigten. Trotz aller offensichtlichen Resignation rauften sich beide zusammen und konnten Grischkats großes Projekt bis 1970 erfolgreich zu Ende bringen. In der von Stiftskantor August Langenbeck am 6. Juni 1958 gegründeten Reihe der Stunde der Kirchenmusik in der erst jetzt (1958) wieder aufgebauten Stuttgarter Stiftskirche fand Hans Grischkat Gelegenheit, sein Kantatenwerk aufzuführen. Doch erst nach der Hälfte des Kantatenwerks und nachdem abzusehen war, dass der Plan gelingen würde, ging man daran, den Gesamtplan in den Württembergischen Blättern für Kirchenmusik abzudrucken. Auch ein Sonderdruck wurde herausgegeben.

Das Kantatenwerk hatte für die Konzertbesucher in Stuttgart weitreichende Folgen. Denn solange das Kantatenwerk andauerte, wurde keine Kantate wiederholt. Daher richtete August Langenbeck in einer Programmbeilage an die Zuhörer die dringende Empfehlung, keinen dieser Abende zu versäumen, verbunden mit der Bitte, über dem Werk Bachs all die anderen , Schätze der Kirchenmusik nicht zu vergessen, - neben den Kantaten-Abenden nicht die anderen Stunden der Kirchenmusik zu vernachlässigen. Dieser Aufruf lässt eindeutige Rückschlüsse zu.

Einige Probleme machte die Beschaffung von Notenmaterial, da nicht alle Kantaten in den Verlagen gedruckt vorlagen. Besonders an den Orchesternoten mangelte es, so dass Hans Grischkat gezwungen war, für die einzelnen Aufführungen die Noten von einem Kopisten handschriftlich anfertigen zu lassen. Auch die Honorare ließen die Kosten steigen, da jedes Mal ein Orchester benötigt wurde. Hans Grischkat selbst bekam für sein Bemühen als Anerkennung (nicht als Honorar) 50,- DM pro Abend, der Chor 100,- DM. Die großen Ausgaben ergaben sich aus der Notenanschaffung und aus der Bezahlung des Orchesters. Denn selbst die Honorare für die Gesangssolisten wurden sehr klein gehalten und betrugen in der Regel 50,- DM. Doch an das Orchester mussten pro Aufführung etwa 1.300,- DM an Honoraren bezahlt werden. Und mit festen Einnahmen konnte nicht gerechnet werden. Aus der Form der Stunde der Kirchenmusik heraus bestand die Kirchengemeinde als Veranstalterin auf freien Eintritt. So wurde von den Zuhörern ein freiwilliger Beitrag von mindestens 1,50 DM (wie für den billigsten Kinoplatz) erbeten. Dieser Aufruf wurde kaum beachtet; das Durchschnittsopfer lag bei 25 Pfennigen. Zum 18. Abend des Kantatenwerks wiederholte August Langenbeck seinen Spendenaufruf. Und schon neun Monate später, zum 25. Abend wurden die Zuhörer wieder aufgefordert, die Stunde der Kirchenmusik finanziell zu unterstützen - jedoch vergebens. Die Abrechnung der ersten 17 Abende ergab für die 11 von Grischkat geleiteten Konzerte eine Einnahme von 9.848,77 DM, wobei der erste Abend mit 1,269,33 DM die Obergrenze, der achte Abend mit 493,50 DM die Untergrenze bildete. Dem standen Ausgaben in Höhe von 15.217,- DM gegenüber, woraus sich ein Defizit von 5.368,23 DM ergab. Dabei lagen die Einzelausgaben in einem engen Rahmen zwischen 1.280.- DM (zweiter Abend) und 1.512,- DM (erster Abend).

Für diesen hohen Preis bekam Hans Grischkat ein Orchester, das seinen Vorstellungen von der Idealbesetzung der Bachschen Kantaten entsprach. Das eigens für diesen Zweck gegründete Stuttgarter Bach-Orchester aus Studenten der Musikhochschule (Konzertmeisterin: Susanne Lautenbacher), das auch in der Stunde der Kirchenmusik unter Gustav Wirsching mitwirkte, hatte die Streicherbesetzung 6 erste Violinen, 5 zweite Violinen, 4 Bratschen, 3 Celli, 2 Kontrabässe. Erst mit diesem Orchester konnte sich Grischkat den Wunsch erfüllen, den er bereits 1933 artikuliert hatte; ein Orchester an der Hand zu haben, das versiert spielte und mit der Musik Bachs vertraut war. Mit wenigen Ausnahmen bestritt diese Besetzung, die dann noch durch Bläser verstärkt wurde, die Aufführungen. Ab dem 32. Kantatenabend wechselte Hans Grischkat das Orchester. Bis zum Zyklusende, dem 113. Abend am 27. Februar 1970, begleitete das Kammerorchester Heilbronn die Kantatenaufführungen. ...

[Leitner S. 284 - 292 zahlreiche Anmerkungen]

Die folgende Auflistung gibt einen Überblick über die Abende des Kantatenwerks .
[Excel-Tabelle, basierend auf der Aufstellung in Leitners Buch. Sortierbar durch Klick auf die Spaltenköpfe]

GS = Grischkat-Singkreis / HS = Hochschulchor / RS = Reutlinger Singkreis / SS = Schwäbischer Singkreis
BO = Bach-Orchester / KH = Kammerorchester Heilbronn

Anmerkungen

264
Die Kantate BWV 141 Das ist je gewißlich wahr stammt nicht von Bach. Doch obwohl der Nachweis, bereits im Bachjahrbuch 1951-1952, S. 31-35 erbracht wurde, verwendete Grischkat sie dennoch im Kantatenwerk.

265
Die Kantate BWV 189 Meine Seele rühmt und preist stammt nicht von Bach. Doch obwohl der Nachweis bereits im Bachjahrbuch 1956, S. 155 erbracht wurde, verwendete Grischkat sie dennoch im Kantatenwerk.

266
Die Kantate BWV 160 Ich weiß, daß mein Erlöser lebt stammt nicht von Bach. Doch obwohl der Nachweis bereits im Bachjahrbuch 1951-1952, S. 35 erbracht wurde, verwendete Grischkat sie dennoch im Kantatenwerk.

267
Die Kantate BWV 15 Denn du wirst meine Seele nicht in der Hölle lassen stammt nicht von Bach. Doch obwohl der Nachweis bereits im Bachjahrbuch 1959 von William H. Scheide erbracht wurde, verwendete Grischkat sie dennoch im Kantatenwerk.

268
Die Kantate BWV 53 Schlage doch, gewünschte Stunde stammt nicht von Bach. Doch obwohl der Nachweis bereits von Alfred Dürr, Studien über die frühen Kantaten Johann Sebastian Bachs, Leipzig 1951, S. 48, erbracht wurde, verwendete Grischkat sie dennoch im Kantatenwerk.

269
Die Kantate BWV 142 Uns ist ein Kind geboren stammt nicht von Bach. Doch obwohl der Nachweis bereits von Alfred Dürr (Studien über die frühen Kantaten Johann Sebastian Bachs, Leipzig 1951, S. 47f.) erbracht worden war, verwendete Grischkat sie dennoch im Kantatenwerk.

Die aus dem Kantatenwerk genommene Kantate Nr. 198, die Trauer-Ode auf den Tod der Kurfürstin Christiane Eberhardine, Gemahlin Augusts des Starken, wurde von Hans Grischkat nachgereicht . Zum dritten Abend eines Bach-Zyklus' in der Stiftskirche wurde sie gespielt. Nicht im Kantatenwerk eingeplant wurden die unvollständig überlieferte Kantate 193 und die Trauungs-Kantaten Nr. 195 bis 197. Dafür mit hineingenommen wurden die vier Brevis-Messen BWV 233-236, sowie die Sanctus BWV 237-241, der 51. Psalm nach Pergolesi, das Oster-Oratorium (BWV 249) und am vorletzten Abend das Magnificat (BWV 243). Von den sechs Ratswahlkantaten BWV 29, 69, 71, 119, 120 und 193 wurde die letzte gestrichen, die beiden Kantaten Nr. 71 Gott ist mein König und Nr. 29 Wir danken dir, Gott für den letzten Abend aufgehoben, an dem eine ganz frühe Kantate (Nr. 71 ist 1708 entstanden) und eine ganz späte Kantate (Nr. 29 wurde von Bach selbst mit 1731 datiert) aufgeführt werden sollten. Die restlichen drei Ratswahl-Kantaten verteilte Hans Grischkat periodisch auf die Jahre 1962, 1965 und 1968. Jeweils im November, zur Stuttgarter Gemeinderatswahl, die alle drei Jahre stattfand, erklangen sie dann.

Die 113 Abende verteilten sich auf 11 1/2 Jahre. Den Hauptteil der Aufführungen bestritt Hans Grischkat, ihm zur Seite standen die Chorleiter August Langenbeck (Leiter des Stuttgarter Kantatenchores, Kantor der Stiftskirche und Initiator der Stunde der Kirchenmusik , in deren Rahmen das Kantatenwerk aufgeführt wurde), Wolfgang Gönnenwein (Leiter des Süddeutschen Madrigalchores), Helmuth Rilling (Leiter des Figuralchores der Gedächtniskirche), Gerhard Wilhelm (Leiter der Stuttgarter Hymnus-Chorknaben) und Martin Hahn (Leiter des Stuttgarter Kammerchores). Von den 113 Abenden leitete Hans Grischkat 88 selbst. Von diesen dann 69 mit seinem Stuttgarter Grischkat-Singkreis. Der Hochschul-Chor war mit acht Abenden an dem Projekt beteiligt, der Reutlinger Singkreis mit vier. Der Schwäbische Singkreis trat an zwei Abenden alleine auf und an drei Abenden zusammen mit dem Grischkat-Singkreis. Das Kantatenwerk war also stark auf die Stuttgarter Chöre abgestimmt. Die hohen Fahrtkosten der anderen Chöre mögen dabei eine gewisse Rolle gespielt haben. So lässt sich auch der Einsatz des Hochschul-Chores erklären. Denn eine Auswertung der von diesem Chor gesungenen Kantaten ergibt, dass die anderen Chöre in früheren Aufführungen unter Hans Grischkat dieselben Kantaten bereits interpretiert und daher im Repertoire hatten. Es kann deshalb nicht angenommen werden, dass die Kantaten ihrer Schwierigkeiten wegen vom Hochschul-Chor aufgeführt werden mussten. Lediglich die Greifbarkeit des Chores in Stuttgart wird den Ausschlag für sein Mitwirken gegeben haben.

Die letzten 12 Abende sollten auf die Chorleiter verteilt werden. August Langenbeck schrieb in einem Brief vom 8. Januar 1969 Wolfgang Gönnenwein, Helmuth Rilling und Gerhard Wilhelm an und machte Vorschläge für die Verteilung. Ein Blick auf die obenstehende Liste zeigt, dass, aus welchen Gründen auch immer, dieses Angebot von den Stuttgarter Chorleitern nicht angenommen wurde. Die Vollendung des Kantatenwerks mit dem 113. Abend war Anlass, Hans Grischkat eine hohe Ehrung zukommen zu lassen. Am Abend des 27. Februar 1970 fand sich noch ein kleiner Kreis in der Sakristei der Stiftskirche ein, um bei der Überreichung des Bundesverdienstkreuzes I. Klasse an Grischkat dabei zu sein.