1930 · Die Spieltischfrage in e. neuen Stadium
Musik und Kirche
Zwischen der Freiburger und der Freiberger Orgeltagung hatte ich durch eine Rundfrage bei einer großen Zahl deutscher Organisten festzustellen versucht, welche Spielhilfen und in welcher Anordnung und Wirksamkeit dem allgemeinen Bedürfnis am ehesten entsprechen. Über das Ergebnis berichtete ich im Einführungsheft zur Freiberger Tagung und in Freiberg selbst. Meine Ausführungen wurden im allgemeinen ohne Widerspruch, ja mit Zustimmung aufgenommen, ohne aber ein stärkeres Echo zu finden: der Schwerpunkt der Tagung lag nicht auf dieser Seite. In den zwei Jahren seither ist es nun ziemlich still geworden. Ich zweifle nicht, daß es eine "schöpferische Pause" ist, die uns dringend nottat; um so gespannter aber lugt man aus, von welcher Seite wohl ein neuer Anstoß kommen wird?
Dieser Augenblick scheint mir in der Spieltischfrage jetzt gekommen zu sein, und zwar werden sich meine Hoffnungen und Wünsche auf Vereinheitlichung der wichtigsten Spielhilfen vielleicht in einer viel weitergehenden Weise verwirklichen, als ich mir träumen ließ: nicht für Deutschland allein, sondern, von Amerika ausgehend, für die ganze Welt. Ein befreundeter Kollege in der Schweiz, Viktor Schlatter, Organist am Großmünster in Zürich, sendet mir einen Aufsatz, den er in einer schweizerischen Zeitschrift ("Der Organist", 15. März 1930) veröffentlicht hat, und der davon handelt, daß die in Amerika neuerdings gebräuchlichen freien Combinationen durch Dupré und Bonnet jetzt an den bedeutendsten Pariser Orgeln eingeführt worden sind (Konservatorium, St. Eustache u. a.) und im Begriff sind, auch in der Schweiz Eingang zu finden (Münster in Bern).
Worin besteht nun diese Neuerung, und worin ist sie unseren Systemen überlegen? Ich bemerke gleich, daß sie keine amerikanische Erfindung ist, sondern schon vor dem Krieg von einer süddeutschen Firma probiert wurde, ohne aber Eingang zu finden, und noch 1923 fand ich sie in den Vereinigten Staaten nur an wenigen Orgeln vor. Es handelt sich, kurz gesagt, darum, daß die sog. Handregister auch als freie Combinationen benutzt werden können: man zieht die Register wie gewöhnlich, drückt den Einstellknopf und darauf den Fußtritt (über der linken Pedalhälfte) für die 1. freie Combination, so ist sie fixiert, und ich kann die Registrierung zerstören, eine neue einstellen und mit dem Tritt für die 2. Combination ebenso verfahren usw. Die Vorteile dieses Systems sind: eine große Einfachheit und Übersichtlichkeit: keine Hunderte von "Kragenknöpfchen" mehr für die freie Combination, jedes Register ist nur einmal da (dann besser als Zug, wie als Kipptaste), man kann so viele Combinationen bauen, als Tritte zur Einführung bequem anbringbar sind, und, was mir am meisten Eindruck gemacht hat, man kann in der Combination, in der man gerade spielt, umregistrieren, wie bei uns mit "Handregister", ein Tritt auf eine Einführung dieser Combination stellt aber die Registrierung, wie vorher vorbereitet, wieder her. Als Nachteil wüßte ich nur zu nennen, daß das nochmalige Überprüfen der eingestellten Combinationsregister mit dem Auge bei diesem System natürlich unmöglich ist, und daß es, wenn ich recht weiß, bei mechanischer und pneumatischer Traktur bisher nicht gebaut werden konnte. Wenn also, entgegen den Wünschen eines großen Teils der führenden Männer der deutschen Orgelbewegung, sich die elektrisch-pneumatische Traktur durchsetzen wird, und ich glaube, sie wird das tun, zum mindesten gegenüber der Pneumatik, wahrend, zur Wiedergabe alter Orgelnmsik, die mechanischen Orgeln sich immer in kleinerer Zahl halten werden , dann wird diese amerikanische Spieltischlösung, als die beste und einfachste, sich auch bei uns durchsetzen. Darum wenden sich diese Zeilen hauptsächlich an die deutschen Orgelbausachverständigen, die neue Orgeln disponieren, und an die deutschen Orgelbauanstalten, die sie zu bauen haben, mit der Bitte, an diesen neuen Ideen nicht vorüberzugehen, sondern sie auf ihre praktische Durchführbarkeit bei uns zu prüfen.
Quelle:
Musik und Kirche 1930, S. 279 - 281