1935 · Programmvorschläge für

Bach=Händel=Feiern

Den allgemeinen Anregungen, die ich im letzten Heft dieser Blätter geben durfte, sollen nun nach dem Wunsch der Schriftleitung noch Vorschläge darüber folgen, wie in einfacheren Verhältnissen eine musikalische Bach=Händel=Feier in der Kirche angelegt werden könne (*). Es ist dabei vorausgesetzt, daß der Organist und Chorleiter auf seiner Orgel leichte bis mittelschwere Literatur darbieten kann, daß der Kirchenchor vierstimmige Bachchoräle technisch bewältigt, und daß die Gesangs= und Instrumentalsolisten ebenfalls ihren Hörern lieber einfachere Musik gut, als schwere unzulänglich bieten möchten. So könnte man etwa folgendes Programm aufstellen, das schon in dörflichen Verhältnissen ausführbar ist, und von dem natürlich auch nach Belieben gestrichen werden kann, wenn man gerade keine Sängerin oder keinen Geiger zur Verfügung hat, oder gezwungen ist, auf die Mitwirkung des Chors zu verzichten.

Das Schema des Programms sieht dann etwa so aus:
1. Orgel
2. Chor
3. Einzelgesang
4. Instrumentalspiel
5. Orgel
6. Instrumentalspiel
7. Einzelgesang
8. Chor
9. Orgel.

Trotz der vielen "Nummern" wird die Gesamtdauer nicht über 1 Stunden hinausgehen, da die einzelnen Nummern zum Teil ganz kurz sein können. Außerdem soll ja dieses Rahmenprogramm einen Grenzfall bedeuten, von dem aus Einschränkungen gemacht werden können. Ich gebe nun Literatur zu den einzelnen Punkten des Programms:

Zu 1): ein Präludium, aus den acht kleinen Präludien und Fugen: Präludium g=moll oder e=moll; mittelschwer: Präludium G=dur (Pet. VIII, 11), einige Bach=Präludien aus den "Orgelvorspielen alter Meister in allen Tonarten" (Bärenreiterverlag, Nr. 668); von Präludien und Fugen: e=moll (III, 10) oder c=moll (IV, 5), oder eines der schwereren, wobei nur die Bitte ausgesprochen sei, die Schwierigkeit der beliebten d=moll=Toccata und Fuge nicht zu unterschätzen!

Von Händel: aus Gauß I das Präludium f=moll (die Fuge ist schwerer) oder einen Satz aus den von de Lange für Orgel allein bearbeiteten Orgelkonzerten (Peters, meist mehr als mittelschwer).

Zu 2): Da beide Meister im Zeitalter der konzertierenden Kirchenmusik gelebt haben, so haben sie einfache a cappella=Chöre überhaupt nicht geschrieben; doch lassen sich die vierstimmigen Choralsätze Bachs aus seinen Kantaten sowohl a cappella als mit Begleitung ausführen; ganz besonders schön sind einige Sätze, in denen über den Singstimmen noch eine obligate Stimme liegt. Hier wird jeder Chorleiter auf die Bestände seines Chors zurückgreifen. Größere, Kantaten= und Motettensätze Bachs sind ausnahmslos schwer, meist sehr schwer.

Noch schwerer ist die Auswahl bei Händel: die meisten Chöre aus den Oratorien können nicht wohl aus dem Zusammenhang gerissen werden, außer dem "Halleluja" aus dem Messias, das von so einzigartiger Größe ist, daß es auch mit Orgelbegleitung (wenn sie gut gespielt wird) noch einen tiefen Eindruck hinterlassen kann. Einige leicht ausführbare Bearbeitungen Händelscher Chormusik hat der Verlag Vieweg (Berlin=Lichterfelde) herausgebracht.

Zu 3): Ein Sänger oder eine Sängerin sollte von Bach vor allem einige geistliche Lieder darbieten (wenngleich dabei nur der Satz, nicht die Melodie von Bach ist); weitaus die meisten der Arien aus Kantaten sind zu kompliziert und zu schwer ausführbar. Zu den leichter verständlichen gehören: "Mein gläubiges Herze" für Sopran, "Gelobet sei der Herr" (aus Kantate 129) für Alt, "Seht, was die Liebe tut" (aus Kantate 85) für Tenor, die Kreuzstabkantate (Nr. 56) für Baß u.a.

Von den Arien Händels kommen vor allem die aus dem Messias in Betracht: "Ich weiß, daß mein Erlöser lebt", "Er weidet seine Herde" (auch als Duett) und andere; aus den übrigen Oratorien gibt es nur wenige, die ohne Zusammenhang der Handlung möglich sind: "O hätt ich Jubals Harf" (aus Josua) u. a.

Zu 4): Die Kammermusik beider Meister bietet eine Reihe von Sätzen, die mit Orgel aufführbar sind: von Bach besonders die langsamen Sätze aus den sechs Sonaten für Violine und Klavier und denen für Flöte, von Händel ebenso; ein guter Orgelspieler kann auch Allegro=Sätze oder ganze Sonaten wagen.

Für zwei Geigen (mit Cello ad lib.) sei auf die viel zu wenig gewürdigten Triosonaten Händels verwiesen; von Bach besonders auf die in G=dur (für Violine, Flöte und Begleitung). Auch das berühmte "Largo ma non tanto" aus dem Konzert in d=moll für zwei Violinen kann man nicht oft genug hören und spielen.

Zu 5): Hier wären Choralvorspiele (aus dem "Orgelbüchlein" oder größere) am Platz. Von den großen sind technisch einfach: die Fuge über "Allein Gott in der Höh sei Ehr" (Pet. VI, 11), "Schmücke dich, o liebe Seele" (VII, 49), "Wachet auf, ruft uns die Stimme" (VII, 57). Das Pastorale (eventuell nur ersten und zweiten Satz) sei als leicht und dankbar hier genannt, auch ein langsamer Satz aus den Triosonaten (besonders aus Nr. 2, 3 oder 4) ist möglich.

Zu 6) 8) erübrigen sich weitere Literaturangaben.

Zu 9): Zum Abschluß eine Fuge: etwa das "Allabreve" (eventuell mit der Kürzung, wie in Gauß I steht), die sogenannte "kleine g=moll=Fuge" (IV, 7) oder die Tripelfuge in Es=dur (III, 1) oder bei ausreichender Technik eine der Toccaten (am leichtesten ist die dorische Toccata ohne Fuge).

Alle diese Herrlichkeiten stehen zur Verfügung, - nun wähle jeder, was er braucht!



Eine sinnvolle Bachfeier könnte ich mir auch so vorstellen: der Organist sucht die Gemeinde, die die Orgel nur beim Vor= oder Nachspiel im Gottesdienst hört bzw. nicht hört oder überhört, zum wirklichen Hören auf die Orgel hinzuführen; er bietet eine Reihe einfacher und für den Hörer verständlicher Orgelchoräle dar. Die Lieder werden zuerst vom Chor gesungen, ein= oder mehrstimmig; dann der Orgelchoral. Unter Umständen wird das Lied nach dem Orgelchoral auch von der Gemeinde gesungen, wobei nocheinmal zwischen Gemeinde und Orgel im Wechsel gesungen und gespielt werden kann. Man darf bei einer solchen Feier, wenn sie nicht großspurig aufgemacht wird, nach meiner Meinung wohl ein wenig "üben", d. h.: dem Hörer Gelegenheit geben, nocheinmal und besser zu hören. Die verständigen Hörer werden dankbar sein, und es wird gut sein, sich keine hohen Vorstellungen von der Hörfähigkeit unserer gottesdienstlichen Gemeinde zu machen.

Gleichzeitig wäre das auch ein Weg, die Gemeinde mit unbekannten Liedern vertraut zu machen; ich würde aber diesen Gesichtspunkt bei einer solchen Bachfeier in den Hintergrund stellen.

Wohl das beste Hilfsmittel hierfür ist das "Orgelbüchlein", herausgegeben von Hermann Keller im Bärenreiterverlag; es enthält die Orgelchoräle (mit Spielanweisung, Finger= und Pedalsätzen), die in Band V der Petersausgabe stehen, außerdem zu jedem Orgelchoral einen einfachen Chorsatz eines alten Meisters; auch in Band VI und VII der Petersausgabe steht mancher einfach zu spielende Orgelchoral. Hingewiesen sei ferner auf die Ausgabe Orgelchoräle von Bach manualiter, ebenfalls von Hermann Keller im Bärenreiterverlag herausgegeben.

Dabei mögen man aber nicht so verfahren: Advent Weihnachten Ostern Pfingsten also keinen "Gang durchs Kirchenjahr" sondern z. B. in den Monaten vor Ostern bis zur Pfingstzeit: Orgelchoräle über Oster=, Pfingst= und Trinitatislieder; dazu allgemeine Gottesdienstlieder oder Katechismuslieder bzw. Orgelchoräle, etwa: die drei Kyriebearbeitungen (in Pet. VII, allerdings nicht leicht), "Allein Gott in der Höh sei Ehr", "Wir glauben all an einen Gott", "O Lamm Gottes unschuldig", "Herr Jesu Christ, dich zu uns wend", "Vater unser im Himmelreich", "Schmücke dich, o liebe Seele".

Solche Feiern könnten durch eine Reihe von Sonntagen durchgeführt werden, als selbständige Feiern oder im Anschluß an den Vormittagsgottesdienst oder vor dem Abendmahlgottesdienst (dann nicht länger als Stunde).
[Wilhelm] Gohl.



(*) Für die Aufführungen von Kantaten unter (relativ) einfachen Verhältnissen macht Hans Grischkat wertvolle Angaben in "Musik in Württemberg" 1934, Heft 6.



Quelle:
Württembergische Blätter für Kirchenmusik
9. Jahrgang Nr. 2, Februar 1935