1963 · Johann Sebastian Bach
Ausstellungskatalog des Instituts für Auslandsbez.
Johann Sebastian Bach (1685 1750), aus einem weitverzweigten thüringischen Musikergeschlecht hervorgegangen, unter mitteldeutschen Kleinmeistern aufgewachsen, ist eine der größten Erscheinungen in der abendländischen Musikgeschichte. Obwohl er sich auf allen Gebieten der Musik, die Oper ausgenommen, betätigte und ein reiches Lebenswerk hinterließ, reichte sein Ruhm und Ansehen zu seinen Lebzeiten nicht über den engeren Fachkreis hinaus. Bis zu seiner Übersiedlung nach Leipzig (1723) war von seinen Instrumentalwerken und seiner Kirchenmusik, mit Ausnahme einer Kantate, nichts gedruckt und nur weniges handschriftlich verbreitet worden. Einen Teil seiner Klavierwerke gab Bach in Leipzig als "Clavier-Übung" in vier Teilen heraus. Das Wohltemperierte Klavier und die Inventionen wurden erst nach 1800 gedruckt. In Leipzig wurde er in seinem engsten Wirkungskreis nicht ohne starke Vorbehalte anerkannt. Seine Musik galt als künstlich, und nach dem flachen und galanten Geschmack der Zeit als zu schwülstig, er selbst als rechthaberisch und schwierig. Nach seinem Tod, in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, im Zeitalter der Empfindsamkeit, konnte man mit seiner Musik nichts anfangen. Wenn man von "Bach" sprach, meinte man seinen zweiten Sohn Philipp Emanuel, in dessen Werken sich Empfindsamkeit und Rationalismus vereinten. Erst durch die Frühromantik und das neu erwachte Interesse an der deutschen Baukunst des Mittelalters, der Sage, dem Märchen und auch der alten Musik wurde Bachs universale Bedeutung allmählich erkannt. Einer Kolossalstatue gleich wurde er Stück für Stück ausgegraben und immer mehr bewundert. Die erste Wiederaufführung der Matthäus-Passion durch Mendelssohn in der Berliner Singakademie (1829) ist nur eine, wenn auch die bedeutendste Etappe auf diesem Weg. Keine Zeit bereitete einem nahezu vergessenen Künstler je eine solche Auferstehung wie sie Bach durch das 19. Jahrhundert erfuhr. Durch seine Klavierwerke ist er wirklich zum "Praeceptor mundi" geworden. Seine Orgelwerke stellen den Gipfel nicht nur der barocken und nicht nur der deutschen Orgelkunst dar. Seine Kammermusik- und Orchesterwerke sind zwar zur "Gemüts-Ergötzung" geschrieben, aber an Gehalt und Tiefe allen anderen seiner Zeit überlegen. Seine Kirchenmusik, in einer Zeit des Niedergangs und der opernhaften Veräußerlichung geschrieben, ist von solcher Tiefe, Ernst und Glauben, daß ihn der schwedische Erzbischof Söderblom geradezu als den "fünften Evangelisten" bezeichnete. Auch auf die Komponisten der letzten hundert Jahre wirkte sich Bachs Einfluß aus. Die Wiedererweckung der alten Musik und die Wiedereinführung der alten Instrumente, wie Cembalo, Clavichord, Barock-Orgel, Bach-Trompete u. a. gehen auf Bach zurück.
Der alternde Goethe faßte Zelter gegenüber sein Bach-Erlebnis in die Worte: "Es war, als ob die ewige Harmonie sich mit sich selbst unterhielte".
Hermann Keller
Quelle:
Ausstellungskataloge des Instituts für Auslandsbeziehungen
[3] Johann Sebastian Bach (1963)